Über Gesichter und Experimente

Liebe Alle,

Gesichter zeichnen kann jeder: Punkt, Punkt, Komma, Strich - fertig ist das Mondgesicht. Gesichter sind mit das erste, was kleine Kinder als Detail ihren Zeichnungen hinzufügen. Schwieriger wird es dann, wenn man von Portraits spricht. Denn ein Portrait ist immer persönlich. Wenn man jemanden zeichnet, dann geht man für eine gewisse Zeit eine Bindung ein, man schaut sich ganz genau an. Und wenn am Ende keine perfekte Zeichnung entstanden ist, dann schämt sich der Künstler und das Modell ist vielleicht sogar entrüstet oder beleidigt. Selbstportraits auch nicht besser, denn da geht man mit sich selbst auf Tuchfühlung und das kann sehr befremdlich sein. Die Anspannung ist also bei Portraits immer sehr hoch.
Gegen diese Anspannung kann es helfen, mit einem Experiment an die Sache zu gehen. Das macht locker, denn der Fokus wandert von der Erwartung der Korrektheit und Schönheit des Bildes hin zu der Durchführung und der Frage, wie die Aufgabe gelöst werden soll / wird / wurde.
Mögliche Experimente sind z. B. das Zeichnen ohne hinzusehen, das Zeichnen beim Gehen, das Zeichnen ohne den Stift abzusetzen, beidhändig zeichnen, auf dem Kopf zeichnen oder (für Rechtshänder) mit links zeichnen (Linkshänder nehmen die rechte Hand). Niemand erwartet unter diesen widrigen Umständen ein exaktes Portrait. Im Gegenteil.
Abgesehen vom Spaß, den diese Übungen bringen, schulen Sie auch das Auge (denn man sieht genauer hin)und die Koordination der Hand. Und vor allem helfen sie, die Sache locker anzugehen - das ist das Oberallerturbowichtigste. Auch wenn am Ende etwas ganz anderes als erwartet entsteht, können diese Bilder durchaus gelungen und charmant sein.
Selbstportrait. Experiment: Ich habe beim Malen keine Brille auf. Dazu muss man sagen, dass ich auf beiden Augen kurzsichtig bin (-4,5/-4,75) und der Spiegel sehr hoch hing.

Jan. Experiment: Schlechtes Licht, alte Ölkreide - "Mach ich jetzt trotzdem."

Dietmar. Experiment: Blind zeichnen, also nicht auf das Papier schauen. Die Zeichnung habe ich danach mit etwas Aquarellfarbe akzentuiert.

Aus dem Kopf. Experiment: beidhändig zeichnen (linke Hand blau, rechte Hand grün). Außerdem sind linkes Auge, Nase und Mund ohne abzusetzen gezeichnet. Danach mit orange und schwarz ausgearbeitet.

Keines dieser Bilder ist annähernd perfekt, was die Proportionen, Licht und Schatten oder die Erkennbarkeit der Gesichter angeht. Dennoch mag ich sie alle - vielleicht gerade weil es so ist. Denn mal ehrlich: Wer von uns ist schon perfekt?

Liebe Grüße,
Maike

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